Es ist heute kaum vorstellbar, wie schlecht es Diabetes-Patienten vor der Entdeckung des Insulins gegangen ist. Obwohl die Symptome seit der Antike bekannt waren, stellte der Typ-1-Diabetes (der damals noch nicht so genannt wurde) noch vor hundert Jahren eine tödlich verlaufende Krankheit dar, denn es gab kaum Behandlungsmöglichkeiten. Bahnbrechend war dann der Erfolg der kanadischen Mediziner Frederick Banting und Charles Best: Am 27. Juli 1921 gelang ihnen erstmals die Isolierung von Insulin aus der Bauchspeicheldrüse von Hunden, ein Ergebnis, basierend auf jahrzehntelanger Arbeit vieler Ärzte und Wissenschaftler weltweit. Sie legten damit den Grundstein für die erste wirksame Behandlung des Diabetes mellitus, der sogenannten „Zuckerkrankheit“. In den folgenden Jahrzehnten und bis heute konnte die Insulintherapie immer weiterentwickelt werden, um die erloschene Körperfunktion zu ersetzen und die chronische Überzuckerung des Blutes zu verhindern. Die Diabetologie am Gemeinschaftskrankenhaus, geleitet von Chefarzt Dr. Markus Menzen, ist am Puls der Innovationen.
Der Durchbruch
Deutsche Mediziner waren an der
Entwicklung der Insulintherapie beteiligt: Seit den Versuchen Josef von Merings
und Oskar Minkowskis im Jahre 1889 war nämlich klar, dass die
Bauchspeicheldrüse etwas produziert, das den Blutzucker reduziert. Doch es
brauchte noch einmal drei Jahrzehnte, um einen sterilen und konzentrierten
Extrakt herzustellen, der unter die Haut injiziert werden konnte. Das war 1921
endlich gelungen: Am 2. Dezember 1921 wurde am General Hospital in Toronto ein
14-jähriger Junge mit seit über zwei Jahren bekanntem Diabetes aufgenommen.
Sein Allgemeinzustand war schlecht: Er wog keine 30 kg mehr, war
psychomotorisch verlangsamt, antriebslos, sein Atem roch stark nach Azeton, und
er verlor täglich drei bis fünf Liter Urin. Ab dem 23. Januar 1922 erhielt er
täglich konzentrierte Dosen des Pankreasextrakts von Banting und Best
injiziert. Daraufhin verbesserte sich sein Zustand in bemerkenswerter Weise. Es
müssen für alle Beteiligten hochemotionale Momente gewesen sein zu sehen, wie
die Therapie dem Todgeweihten wieder Leben einhauchte: Das Hautbild besserte
sich, der Augenglanz, die körperliche wie geistige Lebenskraft kehrten ebenso
zurück, wie „der Wunsch die Muskeln zu benutzen“
Ein weiter Weg
Seit diese ersten Pankreasextrakte
injiziert wurden, hat die Entwicklung des Medikamentes Insulin einen weiten Weg
zurückgelegt: Die ersten industriell hergestellten Präparate basierten auf
Rinder- und Schweine-Insulin. Abgesehen von den Unterschieden in der
Proteinstruktur im Vergleich zum körpereigenen Insulin des Menschen hatten die
tierischen Insuline den Nachteil, dass die Patienten Insulin-Antikörper
entwickelten. Sie schränkten die Hormonwirkungen ein. Hinzu kamen lokale
allergische Reaktionen. Erst nach der Etablierung von gentechnisch
hergestelltem Humaninsulin Mitte der 1980er-Jahre besserten sich die
Verträglichkeit und der Reinheitsgrad der Insuline rasant, und sie konnten nun
endlich auch in unbegrenzter Menge hergestellt werden.
Sowohl bei Typ-1- wie auch bei
Typ-2-Diabetes sind heute sowohl Humaninsuline als auch kurz- und langwirksame
Insulinanaloga zugelassen, hinzu kommen die Mischinsuline für erwachsene
Patienten. Die unterschiedlichen Wirkprofile dieser Insuline lassen sich
entsprechend der individuellen Lebensgewohnheiten der Patienten nutzen.
Neuartige Pumpensysteme zur Insulinzufuhr
Zunehmend bedeutsam wird das „Wie“ der Insulinanwendung. Das Diabeteszentrum im Gemeinschaftskrankenhaus setzt auf ein neuartiges Pumpensystem zur Insulinzufuhr, das mit Hilfe von künstlicher Intelligenz automatisch die Insulingabe nach dem aktuellen Bedarf regelt. Es besteht aus einem Sensorsystem, das am Oberarm kontinuierlich den Glukosegehalt im Gewebe misst, einem Pumpsystem zur Insulinversorgung über eine kurze Nadel, die am Bauch unter der Haut steckt, und einem speziellen Handy, auf dem ein selbstlernender Algorithmus installiert ist. Alle fünf Minuten wird eine Glukosemessung per Bluetooth-Technologie auf das Handy übertragen. Ein Sender schickt die Werte an die Pumpe, die dann mithilfe des Algorithmus die Daten analysiert und entsprechend die Insulinabgabe steigert, drosselt oder unterbricht. Dabei berücksichtigt sie auch, wie der Patient oder die Patientin individuell auf Insulin reagiert und kann die Abgabe immer genauer und vorausschauend anpassen. Chefarzt Dr. Markus Menzen: „Das ist ein Meilenstein in der Technik.“
Marina Sonntag ist die erste Patientin, die im Gemeinschaftskrankenhaus das neue System erhalten hat. An ihrer Krankengeschichte kann man unmittelbar die Fortschritte der Diabetes-Therapie im letzten Jahrzehnt nachvollziehen: Am Anfang bestimmte das Thema Zucker ihr Leben: „Ich musste mich sechs- bis achtmal am Tag in den Finger pieksen, um den Zuckerwert im Blut zu bestimmen, und dann vor dem Essen und zwei Stunden danach Insulin in den Bauch spritzen“, berichtet sie. Da war das digitale Glukosemesssystem, das eine Über- bzw. Unterzuckerung feststellen kann und dann Alarm gibt, kombiniert mit dem Insulin-Pumpsystem schon ein großer Fortschritt. Allerdings geriet der Glukosewert oft aus dem Zielbereich, sodass die junge Frisörmeisterin bei der Arbeit oder im Schlaf von dem Alarm aufgeschreckt wurde und dann (bei Überzuckerung) Insulin nachspritzen oder (bei Unterzuckerung) sofort etwas essen musste. Inzwischen hat sich das Gerät auf Frau Sonntags Lebensrhythmus eingestellt. Ihr Glukosewert liegt jetzt bis über 85 Prozent im Zielbereich, und das Gerät schlägt nur noch selten Alarm. Sie möchte es nicht mehr missen.
Ausgezeichnetes Diabeteszentrum
In der Diabetologie am
Gemeinschaftskrankenhaus sind alle Diabetes-Patientinnen und -Patienten bestens
aufgehoben, denn sie ist von der Deutschen-Diabetes-Gesellschaft nicht nur als
zertifiziertes Diabeteszentrum, sondern auch als einzige in Bonn als zertifizierte
Fußbehandlungseinrichtung für ambulante und stationäre Behandlung ausgezeichnet.
Chefarzt Dr. Menzen, erfahrener Spezialist in der Behandlung des diabetischen
Fußsyndroms, erhielt vom FOCUS-Magazin in diesem Jahr eine zweifache Auszeichnung
als „Top-Mediziner": in Diabetologie und Nahrungsmittelverträglichkeit. Die
Patientinnen und Patienten profitieren zudem von der guten Teamleistung der
Fachärztinnen und -ärzte und der Diabetesberaterinnen
in Kooperation mit dem Diabetes-Kompetenz-Center der Firma Diaexpert sowie
von der engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den anderen
Fachabteilungen des Gemeinschaftskrankenhauses. Die Diabetesambulanz des
Gemeinschaftskrankenhauses hat in diesem Jahr ihr zehnjähriges Bestehen
gefeiert.